Bürgerinitiative "LauenPark" mit Offenem Brief an die Bautzener Stadträte

Bautzen / Budyšín, 21. September 2012. Aus Anlass der Genehmigung des Abrisses denkmalgeschützter Häuser in Bautzen zu Gunsten des Lauencenters durch die Landesdirektion Sachsen hat die Bürgerinitiative Bürgerinitiative "LauenPark", die sich für die Rettung der Denkmäler in der Goschwitzstraße einsetzt, einen Offenen Brief an die Stadträte verfasst und per E-Mail an alle Stadtratsfraktionen geschickt. Der Bautzner Anzeiger veröffentlicht das Schreiben nachstehend im Wortlaut.

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Der Inhalt des Offenen Briefs vom 21. September 2012

Das nachstehende im Original-Wortlaut bereitgestellte Dokument gibt nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.


Sehr geehrte Stadträte der Stadt Bautzen!

Gestern hat uns überraschend in den Medien die Nachricht darüber erreicht, dass das Regierungspräsidium dem Abriss der Denkmäler vom Grunde her zugestimmt hat.

Es ist leider genauso eingetroffen, wie Sie und auch wir es erwartet haben. Das Geld regiert die Welt und überformt die wahren Lebensbedürfnisse der Menschen und zerstört ihre kulturellen Werte, Identität und Selbstbestimmung.

Konsumkultur ist und bleibt Unkultur, zerstört nachhaltig und schleichend vor allem die Lebensbedingungen der einfachen Bürger und damit die wichtigste Funktion einer Stadt, Kultur- und Begegnungsraum zu sein, Inklusion und wertschätzende Toleranz zu üben und zu erfahren. Der Satz: „Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer.“ – trifft so auch auf Bautzen zu. Die Abrissgenehmigung beschenkt die stadtfremden Investoren und prellt die einheimischen Händler, Unternehmen und Hauseigentümer.

Die nackten Tatsachen liegen ungeschönt jetzt allen klar und deutlich vor. Das ist auch eine neue Chance! Jeder ist jetzt angefragt, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Sich zu enthalten, wegzuschauen oder unentschlossen zu verharren, eine deutsche Schwäche mit schweren Folgen in der Geschichte, hat dieselbe Wirkung, als würde man dem Abriss zustimmen.

Wenn Sie, aus welchen Gründen auch immer, für ein zweites Center sind, seien Sie frei in Ihren Gedanken, jedoch auch selbstverantwortlich für die daraus folgenden Konsequenzen für die Verkehrsproblematik in der Innenstadt, für die bedrohte Existenz vieler einheimischer Händler, für die kommende Abwertung bisheriger 1a-Lagen in der Innenstadt, z.B. die Reichenstraße, und für die bewusst provozierte Disharmonie der gesamten mittelalterlich geprägten Stadt, am ältesten Eingangstor Bautzens, entlang der Via Regia, der ältesten und längsten Landverbindung zwischen Ost- und Westeuropa. 2006 wurde sie als „Große Kulturstraße des Europarates“ ausgezeichnet.

Wenn mit Kultur wirkliche, kulturelle Leistungen und zukunftsweisende Errungenschaften gemeint sind, dann haben Sie als Stadträte mit Ihrer bisherigen Entscheidung die falsche Position eingenommen. Ein zweites Einkaufscenter bei einer bis 2020 erwarteten rückläufigen Kaufkraft von 19 Prozent, einem Bevölkerungsrückgang von ca. 58 000 in der gesamten Oberlausitz, der gegenwärtigen demographische Entwicklung in Verbindung mit zukünftig erwarteter Altersarmut, kann nicht die Antwort auf anstehende Zukunftsfragen sein.

Wir als besorgte Bürger bitten Sie deshalb ernstlich, in einen neuen, offenen, wahrhaftigen, aber auch vor allem kritischen Diskurs einzutreten, um das wirklich Beste für Bautzen zu entscheiden! Zeigen Sie uns Ihre Offenheit, Verantwortlichkeit und Bereitschaft, indem Sie aktiv mit uns, mit allen interessierten Bürgern Bautzens, in einen persönlichen Austausch treten. Repräsentative Demokratie heißt, das Wahlversprechen immer wieder real auch einzulösen.

Sie haben einen politischen Auftrag erhalten und damit die Pflicht, sich ernsthaft mit unseren Kritiken und Einwänden auseinanderzusetzen. Bisher wurden wir ignoriert. Für uns bleibt zwar der Bürgerentscheid als letzte, jedoch uneffektive, Verhinderungsmöglichkeit offen, schafft jedoch starre Fronten und verschenkt so viele Potentiale und Verständigungsmöglichkeiten, welche für eine gute gesamtstädtische Lösung gebraucht werden.

Kurz vor der Wende war der Abriss von einem Drittel! der Bautzener Altstadt durch die DDR-Regierung schon beschlossene Sache. Beherzte Bürger, viel Privatinitiative und Privatvermögen machten die Sanierung der Bautzener Altstadt möglich, die wir und zahlreiche Besucher heute bewundern dürfen. Wie sähe Bautzen heute aus, wenn die Wende nicht rechtzeitig gekommen wäre? Und welch eine erschreckende und zugleich merkwürdige Parallelität erleben wir heute nach 20 Jahren zum Lauencentervorhaben? Wieder genehmigt ein Regierungsbeschluss den Abriss von zwei städtischen Quartieren, und unter heutigen Befürwortern finden wir einstige Retter von damals.

Machen Amt und Würden auf Dauer blind? Damals wurden Argumente gesammelt, dass Abbrüche nicht notwendig werden, um nicht unwiederbringliche und unumkehrbare Tatsachen zu schaffen. Deshalb appellieren wir heute an Sie, sehr geehrte Stadträte, an Ihre positiven Erfahrungen und auch an Ihr Gewissen, nicht wieder gut zu machenden Schaden von Bautzen abzuwenden, das Center auf die verträgliche Größe zu reduzieren und den möglichen Erhalt der Denkmäler zu fordern! Die darauf folgende sinnvolle und nützliche Einbindung sowie umfangreiche Sanierung, und die Schaffung der notwendigen materiellen und finanziellen Voraussetzungen, werden uns wie vor 20 Jahren im engagierten Miteinander gelingen.

Bürgerinitiative „LauenPark“ zur Rettung der Goschwitzstraße


Kommentar:

Zu den schwierigsten Aufgaben in der Kommunalpolitik gehört zweifelsohne der Umgang mit Bürgerinitiativen. Warum? Weil Bürgerinitiativen Ansprüche artikulieren, in aller Regel ein "dagegen!", aber genau so im Regelfalle keine pragmatischen Lösungen mitbringen.

Dennoch: Bürgerinitiativen sind Ausdruck des Wählerwillens und entstehen dann, wenn sich ein Teil der Wähler im konkreten Geschehen in seinen Interessen verletzt fühlt. Schon deshalb müssen Bürgerinitiativen ernst genommen und angehört werden.

Wie gesagt, kein leichter Job, vor allem wenn leidenschaftlich vertretener Anspruch einerseites und eingeschränkte Handlungsalternativen andererseits aufeinanderprallen.

Noch nie hat jemand behauptet, Demokratie sei eine einfache Angelegenheit,

Ihr Fritz R. Stänker

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 22.09.2012 - 12:32Uhr | Zuletzt geändert am 22.09.2012 - 12:54Uhr
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