Görlitzer Art 2021/22 eröffnet

Görlitzer Art 2021/22 eröffnetGörlitz, 17. Juli 2021. Gestern haben Oberbürgermeister Octavian Ursu und Kulturbürgermeister Dr. Michael Wieler die "Görlitzer Art" 2021/22 eröffnet, eine Freiluftausstellung von Werken und Installationen im Stadtgebiet, die Studenten beziehungsweise Absolventen der renommierten Dresdner Hochschule für Bildende Kunst (HfBK) in die Welt gesetzt haben. Ein wenig die Schau gestohlen hat ihnen Lisa Maria Baier, deren Installation "Kulisse" aus der gezeigten Kunst verbannt wurde.

Abb.: Gegenüber der offiziellen Eröffnung dreht Lisa Maria Baier fröhlich an den Reglern und steht zu ihrer Botschaft
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Kunst Zehn minus Eins

Kunst Zehn minus Eins
Am Mikrofon Oberbürgermeister Octavian Ursu, daneben Kulturbürgermeister Dr. Michael Wieler
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Thema: Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Görlitz verfügt nicht nur über fast 4.000 Baudenkmale, sondern ist eine Stadt der Museen und Ausstellungen. Hier befinden sich beispielsweise das Kulturhistorische Museum, das Schlesische Museum zu Görlitz, das Museum der Fotografie und das Senckenberg Museum für Naturkunde, im polnischen Teil der Europastadt das Lausitz-Museum. Darüber hinaus gibt es häufig Sonderausstellungen an anderen Orten, auch im Umland der Stadt sowie in der Dreiländerregion von Sachsen, Tschechien und Polen.

Unter dem Streit um die am zugewiesenen Platz vor der Görlitzer Stadthalle, an einer belebten Straße, die den deutschen und den polnischen Stadtteil verbindet, aufgestellte "Kulisse" leidet die Görlitzer Art. Nun mag Kulturbürgermeister Dr. Wieler formal vielleicht recht haben, wenn er meint, die Hinweise auf Frauenrechte, wozu eben die ebenfalls geforderte (staats)grenzenlose Möglichkeit zur Abtreibung aus Sicht sehr vieler gehört, hätten den von einer Jury gewählten Entwurf so stark verändert, dass er so oder zumindest an diesem Platz nicht mehr gezeigt werden könne.

Der wunde Punkt ist jedoch, dass die Stadt Görlitz meint, mit der Aufstellung von Kunst im öffentlichen Raum auch die Aussage der Kunstwerke übernehmen zu müssen. Dass das unmöglich ist, liegt nahe, denn in jeder Wahrnehmung wird Kunst anders interpretiert. Und überhaupt: Kunst ist kein offizieller Protest, sie wirkt im Auge des Betrachters. Wenn er dann auf die Kunst reagiert, erzählt er zugleich über sich selbst.

Schwarz statt Kunst

Im Faltblatt der Görlitzer Art sind die ausgestellten Werke abgebildet, nur anstelle der "Kulisse" prangt ein schwarzes Feld, versehen mit dem ausweichenden Hinweis, dass das Werk nicht im Einvernehmen zwischen Künstlerin und Veranstalter realisiert werden konnte. Da stellt sich die Frage, ob sich Kunst den Vorgaben eines Ausstellers anpassen muss. Kann sie, muss sie aber nicht, allerdings muss sie im zweiten Fall mit den Konsequenzen leben: Wer sich nicht anpassen will, fliegt raus! Die Forderung nach Anpassung dürfte einen Kunststudenten, der gerade den Schutzraum der Hochschule verlassen hat, überfordern. Gut so, denn wenn das Leben als Freischaffender mit einer Anpassung beginnen würde, wäre der Künstler für den Rest seines Lebens gebrochen. Zum Glück war der zur Eröffnung gezeigte Kurzfilm weder geschwärzt noch geschnitten, so dass sich jene, die noch nichts geahnt hatten, ein Bild machen konnten von der Kunst des Anstoßes.

Matthias Flügge, HfBK-Rektor, hat sich aus den Querelen seiner Absolventin mit der Stadt Görlitz herausgehalten, ließ aber aufhorchen, als er von einer Verantwortung der Hochschule für ihre Absolventen sprach. Aber es wäre natürlich unverhältnismäßig, jedem Künstler, der aneckt, zu sekundieren. Interessanter wäre zu wissen, wie sich die anderen neun Aussteller der Görlitzer Art – wenn überhaupt – positionieren.

Was würden die Polen sagen?

Dass Künstler gleich zu Beginn ihres hoffentlich bezahlten Schaffenslebens ausgebremst werden, kann keiner wollen und die Stadt bräuchte das Geld für die Görlitzer Art nicht anderen Vorhaben vorzuenthalten. Oberbürgermeister Ursu freut sich zu Recht, dass die erste Görlitzer Art im Jahr 2016/17 mit der Kunsthochschule Breslau als Partner durchgeführt wurde und so zur deutsch-polnischen Begegnung wurde.

Nun also die Dresdner Hochschule und ganz fremd ist ihm auf eine Frage hin der Gedanke nicht, die Görlitzer Art als gemeinsame Kunstausstellung in Görlitz und Zgorzelec durchzuführen. Spekuliert werden darf, dass bei einer gemeinsamen deutsch-polnischen Görlitzer Art, wie auch immer sie dann heißen würde, die "Kulisse" als selbstverständlicher Teil der polnischen Protestkultur gesehen würde.

Kunst wirkt

Görlitz, auf sich alleingestellt, hat das Update der Kulisse zu Themen, die vor allem im Fraueninteresse liegen, nicht verkraftet. Die "Kulisse" wirkt dennoch: Nachdem zum Ende der offiziellen Eröffnung die "Löwen" von Willy Schulz enthüllt worden waren, trat auf der gegenüberliegenden Veranstaltung, auf der sich vor allem Freunde von Lisa Maria Baier versammelt hatten, eine junge Frau auf und erzählte ihre Erfahrungen rund um eine Beinahe-Abtreibung – so dass auch alte weiße Männer begriffen, worum es geht. Manch Jüngere allerdings eilten scheu vorbei.

Wie hieß es doch im Lied von den zehn kleinen Künstlern aus Afrika? Einer hat Politik gemacht, da waren's nur noch neun..." – oder so ähnlich jedenfalls.

Mehr:
Lisa Beißwanger: Neue Strategien für politische Kunst, Teil 1

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  • Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 17.07.2021 - 09:50Uhr | Zuletzt geändert am 21.02.2022 - 19:47Uhr
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