Enges Denken – weites Denken

Enges Denken – weites DenkenBautzen / Budyšín, 14. Februar 2022. Von Thomas Beier. Wenn man gewohnt ist "sein Ding" zu machen, also sein Leben zu leben, ohne sich allzu sehr an den Maßstäben anderer zu orientieren, dann nimmt man mit einiger Verwunderung zur Kenntnis, dass durchaus viele immer wieder auf der Suche nach irgendwelchen Alternativen sind, etwa in der Politik, in der Medizin oder der Philosophie.

Foto: Robin Higgins, Pixabay License
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Wer systemisch denkt, braucht keine Alternativen

Verwunderung deshalb, weil die Suche oder gar die Bekenntnis zu einer Alternative voraussetzt, sich selbst in einem recht begrenzten realen oder gedachten System zu bewegen, das man – warum auch immer – hinter sich lassen möchte.

Ganz offenbar ist es so, dass Menschen Systeme überaus lieben. Je simpler die Gemüter gestrickt sind, umso mehr schätzen sie überschaubare und berechenbare Systeme, in denen auf eine bestimmte Handlung hin ein zuverlässig und genau kalkulierbarer Effekt eintritt. Gern wenden sie sich Meinungen, Ideologien und Religionen zu, die genau das versprechen.

Funktioniert dieser enge kausale Zusammenhang "Wenn genau das getan wird, dann tritt exakt jenes ein" nicht mehr, weil wie etwa in der Coronapandemie Vorsichts- und Gegenmaßnahmen ausprobiert wurden, um überhaupt etwas zu tun und Erfahrungen zu sammeln, dann empfinden solche Leute das zugrundeliegende System als untauglich und wenden sich immer stärker dagegen.

Ganz unabhängig von formaler Bildung gelingt es nur wenigen, Entwicklungen, mit denen sie selbst noch keine Erfahrungen haben, und neue Erkenntnisse systemisch – und nicht etwa systematisch – einzuordnen. Systematisch würde ja bedeuten, sich innerhalb eines gegebenen Systems zu bewegen und zu schauen, was an welche Stelle in diesem System passt. Wenn etwas nicht in ihr System – oder Weltbild – passt, dann wenden sich die Betreffenden davon ab oder, wie gesagt, dagegen und es kommen alternative Systeme ins Spiel.

Systemisches Denken: beschreiben ohne zu bewerten

Bei der systemischen Betrachtung ist das anders: Hier wird zunächst einmal beschrieben, was geschieht oder eingetreten ist, ohne dies zu beurteilen. Schon das fällt vielen schwer, weil ihr ganz persönlicher Blickwinkel eine Bewertung mit sich bringt; im einfachsten Fall äußert sich das darin, dass sich wie angesichts der Coronapandemie ganze Bevölkerungsgruppen gegenseitig mehr oder weniger deutlich als blöd bezeichnen.

Die systemische Herangehensweise hingegen beschreibt, um beim Beispiel der Bevölkerungsgruppen zu bleiben, nicht nur das Verhalten, sondern analysiert zugleich neben den Ursachen auch die Motive dafür. So wäre es fatal, etwa Politiker nur anhand ihrer Äußerungen zu unterscheiden und dabei deren Motive außer Acht zu lassen. Wenn auf dem Höhepunkt der Coronawelle Politiker beispielsweise eine Lockerung von Vorsichtsmaßnahmen fordern, dann liegt das Motiv dafür wohl weniger in wissenschaftlichen Erkenntnissen, die eher zur weiteren Vorsicht mahnen, als im Druck von der Straße. Aber auch das ist Demokratie; ganz ähnlich verhält es sich übrigens es beim Thema Impfpflicht.

Systemisches Denken in der Medizin

Zum Ansatz der systemischen Sichtweise auf die Welt gehört das Wissen, welche Zusammenhänge man selbst nicht abschließend beurteilen kann. In jüngerer Zeit, so mein Eindruck, erscheinen häufiger als sonst Presseartikel, die sich gegen die Homöopathie wenden, weil diese wissenschaftlich gesehen nicht wirksam sein könne. Das ist sicherlich glaubwürdig und dennoch: Ich persönlich kann es medizinisch nicht beurteilen, weiß aber, dass viele mit ihren homöopathischen Mitteln glücklich sind.

Ähnlich die Diskussion um die CBD-Öle: CBD steht für Cannabidiol und die Öle sind Extrakte, die aus Hanfpflanzen hergestellt werden. Die in Deutschland verkäuflichen CBD-Öle haben nur eine sehr geringen THC-Anteil – weniger als 0,2 Prozent – und wirken deshalb nicht berauschend. Während manche die dem CBD nachgesagten Wirkungen – beruhigend, schmerzstillend und entzündungshemmend – als nicht bewiesen abstreiten, ist mir erst vor wenigen Tagen eine Frau begegnet, die behauptet, damit einen hartnäckigen Hautausschlag im Gesicht so gut in den Griff bekommen zu haben, dass nichts mehr davon zu sehen ist. Aus systemischer Sicht liegt es fern, die Meinungen zu beurteilen, man kann nur beschreiben: Die einen sagen so, die anderen sagen so.

Komplizierter wird es, um das Beispiel noch ein wenig weiter zu treiben, wenn CBD zum Einnehmen verkauft wird. Auch hier beschreiben viele eine wohltuende Wirkung in mancherlei Beziehung, andererseits fallen die CBD-Öle unter die Verordnung über neuartige Lebensmittel (Novel Food) der EU und sind deshalb in Deutschland nicht zum Verzehr zugelassen. Doch was beim Menschen vom Laien fachlich kaum zu beurteilen ist, erobert längst die Tierwelt.

Schaut man sich die Informationen an, die Anbieter von CBD für Tiere im Internet auf ihren Seiten geben, so fallen die zurückhaltenden Formulierungen auf, was die Wirkversprechen betrifft. Andererseits ist es halt schwierig, Tiere nach ihrem werten Wohlbefinden zu befragen; heranziehen kann man im Wesentlichen nur den Appetit, die Verdauung und das Verhalten. Angeführt wird im Blog auf der verlinkten Webseite in Zitaten aus Kundenerfahrungen unter anderem eine Steigerung der Vitalität und ein verbessertes Gangbild bei an Arthrose erkrankten Hunden.

Die Wahrheit misst sich an der Wirklichkeit

Ach hier ist es für den Laien wohl müßig, eine Pro- oder Kontra-Argumentation zu entwickeln. Wer nicht an die Wirkung glaubt, dem kann man das wohl ebenso wenig ausreden wie dem, der davon überzeugt ist. Misstrauisch machen sollte jedoch immer, wenn jemand die sogenannte Schulmedizin gänzlich infrage stellt, bei einem Herzinfarkt helfen nun einmal weder Globuli noch Extrakte.

Es bleibt dabei: Die Meinungen sind unterschiedlich und das Kriterium der Wahrheit ist noch immer die Praxis.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto RobinHiggins / Robin Higgins, Pixabay License
  • Erstellt am 14.02.2022 - 13:36Uhr | Zuletzt geändert am 16.02.2022 - 09:17Uhr
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