Strategie statt Aktionismus
Bautzen / Budyšín, 24. November 2021. Von Thomas Beier. Jede Epoche bringt ihre Lösungsansätze und Denkmodelle hervor. Ohne Denkmodelle wäre die Gestaltung der modernen Gesellschaft im Sinne des sozialen Miteinanders undenkbar, ebenso die Entwicklung von erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen – Stoff, der locker für mehrere Bände dicker Bücher ausreicht.
Von der Kybernetik zur Strategieentwicklung
In den 1940er Jahren kristallisierte sich eine Wissenschaft heraus, die 1947 den Namen Kybernetik erhielt. Die hehre Wissenschaft möge mir verzeihen, wenn ich dafür eine eigene Definition verwende: Kybernetik ist die vergleichende Betrachtung von Steuerungs- und Regelmechanismen in Wirtschaft, Technik, Politik, Biologie und Gesellschaft.
Wer Hermann Hesses "Glasperlenspiel" halbwegs verdaut hat, der weiß, worum es geht. Jedenfalls entstammen Schlagworte wie sich "selbstreproduzierende Maschinen" und die "selbstorganisierenden Systeme" der Kybernetik und nicht etwa dem Zauber um die sogenannte Künstliche Intelligenz. Schon 1953 wurde die Kybernetik zum Lehrfach an der Ostberliner Humboldt-Universität.
Erfolgsmodell EKS
Später wurde die Kybernetik zum integralen Baustein einer neuen, seit den 1970er Jahren immer stärker ausgereiften Managementlehre: Der Engpasskonzentrierten Strategie (EKS) nach Wolfgang Mewes, die etliche, noch heute bekannte Unternehmen, überdurchschnittlich erfolgreich machte.Heute allerdings – wir schreiben das Jahr 2021 – scheint das Wissen um die Entwicklung von Strategien in vielen Bereichen verschütt gegangen, dabei werden Strategien doch überall händeringend gesucht! Die Politik sucht Strategien zur Überwindung der Coronakrise und der gesellschaftlichen Spaltung, die Wirtschaft sucht – naturgemäß penetrant – Marktzugangsstrategien und solche für stetes Wachstum.
Größter Fehler: Mittel- und langfristige Planungsziele werden als "Strategie" definiert – der Gedanke, dass angestrebte Erfolge immer nur das Ergebnis von möglichst zielgerichteten Entwicklungen sein können, ist hingegen ins Abseits geraten.
Der Kern der Strategieentwicklung
Zur Engpasskonzentrierten Strategie, vor Jahren noch als Erfolgsgeheimnis gehütet, kann man sich heute viel Wissen zusammengoogeln – nur reichen wird das nicht, weil sich das Rad der Zeit beständig weiterdreht. Vor diesem Hintergrund jammern viele, dass die Voraussetzungen und nötigen Ressourcen für ihre Vorhaben nicht gegeben seien.Gut erinnere ich mich an einen jungen Mann, der freischaffender Fotograf werden wollte und meinte, er bräuche mindestens 20.000 Euro, um in diesen Beruf einsteigen zu können, leider habe er sie nicht. Meinen Rat,mit seiner vorhandenen Kamera einzusteigen und überhaupt erst einmal Bilder zu verkaufen und davon ausgehend sein Geschäft zu entwickeln lehnte er ziemlich entsetzt ab: Er wolle ja Profi sein! Nun ja, ich glaube, er hat bis heute kein einziges Foto verkauft.
Minimumfaktor Ressourcen
Das Beispiel zeigt, worum es geht: Will man eine Erfolgsstrategie entwickeln, steht tatsächlich zuerst die Frage nach den verfügbaren Ressourcen. Doch statt festzustellen, dass diese ja für die oft hochfliegenden Pläne nicht ausreichen, steht die Frage danach, wie man seine – übrigens stets begrenzten – Ressourcen so einsetzen kann, dass man möglichst große Fortschritte erzielt. Das Prinzip ist die Konzentration der vorhandenen Kräfte. Oft jedoch wird es völlig falsch verstanden, wenn etwa gefordert wird, Kräfte zu bündeln, die doch bei näherer Betrachtung konkurrierend sind.Allerdings wäre es hoch riskant, seine Ressourcen konzentriert zum Einsatz zu bringen und loszulegen, denn es fehlt die Marschrichtung. Die wird festgelegt durch ein herausforderndes, in jedem Falle aber terminiertes Ziel, für dass es zudem Kriterien dafür geben muss, dass es erreicht wurde. Wobei: Der kürzeste Weg ist hier nicht unbedingt der beste beziehungsweise einzige. Tauchen etwa Hindernisse auf, muss man eben einen Umweg machen.
Richtiges wird nicht automatisch unterstützt
Wirtschaftsunternehmen, die strategisch vorgehen wollen, kennen ein weiteres Phänomen: Eine von der Geschäftsleitung entwickelte Strategie, die in den unterschiedlichsten Situationen Orientierung bietet, muss von der Belegschaft nicht zwangsläufig gutgeheißen werden. Deshalb müssen Strategiebestandteile wie etwa die Unternehmensphilosophie, das Leitbild oder Verhaltenskodizes in die Organisation hineingetragen werden. Diese Involvierung kann ganz unterschiedlich erfolgen, etwa durch Plakate, Diskussionsrunden, Mitarbeiterbefragungen oder Preisausschreiben.Das große Problem
Ziel ist es, die "Mannschaft" – zu der selbstverständlich die Mitarbeiterinnen gehören – hinter dem Unternehmen so zu versammeln, dass dieses die Herausforderungen der Zukunft besteht.Selbst wenn eine Geschäftsleitung glasklar erkannt hat, welche die richtige Strategie für das Unternehmen ist oder was zwangsläufig zu tun ist, sitzt das Misstrauen unter den Angestellten so tief, dass etwa dringend nötige Veränderungsprozesse von der Belegschaft nicht unterstützt werden.
Die Führungsriege hat jetzt nur noch eine Chance: Sie muss eine strategische Unternehmensberatung beauftragen, die im Haus gemeinsam mit wichtigen, meinungsbestimmenden Mitarbeitern die Notwendigkeit einer neuen Strategie und der damit einhergehenden – auch unangenehmen – Veränderungen erarbeiten, damit diese die Notwendigkeit erkennen.
Und in der Gesellschaft?
Die eingetretene Spaltung der Gesellschaft der Bundesrepublik entlang etlicher Bruchkanten ist – zumindest teils – dem Fehlen von Krisenbewältigungsstrategien geschuldet. Tatsächlich könnten hier Unternehmen, die weitsichtig handeln, um jederzeit zukunftsrobust aufgestellt zu sein, Vorbild für das Handeln von Regierungen und Behörden sein.Das bleibt wohl ein Wunsch in Gottes Ohr, denn es ist ein Unterschied,ob man als Unternehmen zum Erfolg verdammt ist oder als Regierung – vielleicht auch noch frischgewählt – Probleme für eine Weile aussitzen kann.
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- Quelle: Thomas Beier | Foto: jarmoluk / Michal Jarmoluk, Pixabay License
- Erstellt am 24.11.2021 - 23:21Uhr | Zuletzt geändert am 13.04.2022 - 12:14Uhr
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