Ärztemangel in Sachsen – und keine schnelle Lösung in Sicht

Ärztemangel in Sachsen – und keine schnelle Lösung in SichtBautzen / Budyšín, 7. August 2022. Von Tina Beier. Das Problem des Ärztemangels ist schon lange bekannt, auch den Politikern und vor allem die Patienten spüren es. Hier ist besonders die Landbevölkerung betroffen, die auch ohne dieses Problem oftmals schon weite Fahrwege zum Arzt in Kauf nehmen muss. Geht aber der vertraute Haus- oder Facharzt in den Ruhestand und findet sich kein Nachfolger, dann ist guter Rat richtig teuer.

Abb.: Ein leeres Wartezimmer? Da muss die Praxis wohl gerade geschlossen sein
Bildquelle: Gerd Altmann, Pixabay License (Bild beschnitten)
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Greift das sächsische Landarztgesetz?

Der Sächsische Landtag hat am 30. September 2021 die Landarztquote beschlossen. Die Frage ist, was das im Einzelnen bedeutet und – vor allem, ob sich dadurch die ärztliche Versorgung auf dem Land verbessern wird. Fakt ist: Das beschlossene Gesetz für die Landarztquote ist nur ein einzelner Baustein und bringt – jedenfalls in absehbarer Zeit – keine Lösung gegen die Unterversorgung der Patienten.

Worum es geht: Wie die Landesdirektion Sachsen erläutert, soll die Landarztquote von zunächst 6,5 Prozent schon im Medizinstudium greifen, indem Studienbewerber auch außerhalb des Numerus Clausus die Möglichkeit erhalten, zu studieren; im Gegenzug müssen sie allerdings die Verpflichtung eingehen, nach dem Studium die Berechtigung zu erwerben, sich als Hausarzt niederzulassen und sich in einem mit Ärzten unterbesetzten Gebiet für zehn Jahre niederzulassen. Hierbei sollen die Kommunen unterstützend tätig sein und bei der Suche nach Wohnungen und Praxisräumen helfen. Bei Nichteinhaltung der Vereinbarung droht Absolventen eine Vertragsstrafe bis zu 250.000 Euro.

Die Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Petra Köpping (SPD) will damit jungen Leuten, die Arzt werden möchten, im Freistaat eine gute Perspektive bieten. Der Medienservice auf sachsen.de hat am 30. September 2021 über den Landtagsbeschluss zum Landarztgesetz informiert und das bereits 2019 beschlossene “20-Punkte-Programm – medizinische Versorgung 2030”, in das sich das Landarztgesetz einfügt, verlinkt.

Was seit langem niedergelassene Ärzte zur Unterversorgung der Patienten sagen

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass den niedergelassenen Ärzten, die auf den Ruhestand zusteuern, der Verbleib ihrer Patienten vielleicht nicht ganz so wichtig ist – doch das ist falsch! Viele Praxisinhaber sind jetzt mehr als 60 Jahre alt, oft haben sie ihre Praxen schon vor der deutschen Wiedervereinigung oder gleich danach aufgebaut. Sie arbeiten mit Herzblut und wünschen sich natürlich einen Nachfolger für sich und ihre Patienten. Die Vorstellung, nach 40 oder gar 50 Jahren die Praxis einfach zu schließen, ist für viele undenkbar. Ihre Frage ist, was aus den Patienten und dem, was sie über Jahrzehnte aufgebaut haben, wird?

Das ZDF hat die in einem Video sehr anschaulich dokumentiert. Hier berichtet ein 77-jähriger Arzt über die augenblickliche Situation: "Hausärztemangel in Sachsen", so der bezeichnende Titel des zweiminütigen Videos.

Wie wahrscheinlich ist es, dass angehende Mediziner das neue Gesetz für sich nutzen?

Die Vermutung, dass wohl nur ein sehr geringer Anteil der Studenten das Landarztgesetz nutzen wird, um das Medizinstudium anzugehen, liegt nahe. Mögliche Gründe dafür gibt es einige. Einer davon ist die mögliche Diskriminierung während des Studiums und ein minderes Ansehen bei jenen Medizinern und Kommilitonen, die den Numerus Clausus geschafft haben. Sind sie am Ende dann Ärzte zweiter Klasse? Und wie hoch überhaupt muss der Notendurchschnitt für die Zulassung zum Medizinstudium außerhalb des Numerus Clausus tatsächlich sein?

Weitere Gründe, sich nicht im ländlichen Raum niederzulassen, sind die hohe Arbeitsbelastung, das heißt eine hohe Anzahl an Patienten, aufwendige und schlecht bezahlte Hausbesuche und die Notdienste, die Ärzte an Wochenenden leisten müssen, sowie die Ferienvertretungen für Kollegen.

In diesem Zusammenhang hört man immer öfter den Begriff “Work-Life-Balance”. Das bedeutet in der Lebensplanung auch der jungen Mediziner, dass sie ein Gleichgewicht schaffen möchten zwischen Beruf, Freizeit und Familie und nicht mehr wie die Ärzte vom alten Schlag zehn bis zwölf Stunden für die Praxis und ihre Patienten da sein wollen. Wem will man das verdenken, dass auch Ärzte ihrer Kinder aufwachsen sehen möchten? Es wäre zu leicht zu sagen, dass diese Generation faul ist – nein, die Zeiten haben sich geändert. Aber könnte es nicht eine Lösung für ländliche Regionen sein, dass junge Ärzte in eine Gemeinschaftspraxis gründen und somit allen und auch sich selbst gerecht werden?

Über die Not der Patienten in dieser Situation wird selten gesprochen

Gibt es keinen Nachfolger, heißt es nach der Praxisschließung des Haus- oder Facharztes für Patienten in Sachsen oftmals, die Klinken zu putzen– wenn sie nicht das Glück haben, von einem anderen niedergelassenen Arzt oder von einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) übernommen zu werden.

Das Klinkenputzen gilt auch für Leute, die nach Sachsen neu zugezogen sind. Die Aufnahme in die Patientenkartei ähnelt einem Bewerbungsverfahren. Für Neuankömmlinge, die anderes gewohnt sind, ist das ein Schock und für viele neben dem noch immer schwierigen Zugang zum Arbeitsmarkt – wenn man nicht passgenau eine der gesuchten Fachkräfte ist – auch ein Grund, gar nicht erst nach Sachsen zu ziehen.

Das ist kein Witz: Oft benötigt man für die Aufnahme als Patient die Empfehlung eines Freundes oder eines Bekannten, der bereits Patient beim gewünschten Arzt ist. Hat man diese nicht, hagelt es Absagen – und das liegt nicht an den Ärzten, sondern daran, dass die Praxen bereits völlig überlastet sind. Wie denkt sich Vater Staat das eigentlich: Einerseits besteht Krankenversicherungspflicht, wer aber ärztliche Leistungen benötigt, wird durchaus abgewiesen?

Was man als Patient tun kann

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder man erhält eine Empfehlung und wird als Patient aufgenommen, oder man macht es – zur Nachahmung nicht empfohlen, aber die Wahrheit – wie die inzwischen älteste Frau Deutschlands, die immerhin 112 Jahre alte Bautzenerin Anna Cernohorsky, die nie beim Arzt war, weil sie sich dort nicht ausziehen wollte.

Das Geheimnis ihres hohen Alters haben hat die Bild-Zeitung gelüftet, auch der Deutschlandfunk berichtete darüber: Kettenraucherin, Bier- und Schnapstrinkerin, süße Küche und fettes Fleisch. Mittlerweile raucht sie nicht mehr: Sie erkrankte im hohen Alter an Demenz und vergaß schlicht und ergreifend die Zigaretten, kann man auf bild.de/regional nachlesen.

Eine Alternative zu dieser Lebensweise, wenn die passende medizinische Versorgung vor Ort nicht gegeben ist, besteht darin, hohen Reiseaufwand in Kauf zu nehmen – immerhin eine Lösung, wenn für den Patienten die Möglichkeit dazu besteht. Dieser hohe Aufwand, eventuell über mehrere hundert Kilometer zum ärztlichen Spezialisten zu fahren, findet vor allem bei chronisch erkrankten Patienten seine Berechtigung.

Natürlich kann man im Notfall zur Notaufnahme des Krankenhauses gehen, eine Bereitschaftspraxis aufsuchen oder den ärztlichen Bereitschaftsdienst rufen. Aber diese Einrichtungen sind wirklich nur für den Notfall gedacht. Für Patienten, die nach Linderung oder Heilung eines Leidens suchen ist es gerade in schwierigen Fällen wichtig, einen konstanten, kompetenten und vertrauenswürdigen Ansprechpartner zu haben.

Zwei Beispielfälle

Zwei Beispiele sollen dies deutlich machen. Eine junge Frau mit schweren Rheumaschüben kann in Ostsachsen nicht ausreichend behandelt werden, weshalb sie die Eltern regelmäßig in die Klinik für Rheumatologie am Rheumatologischen Kompetenzzentrum Nordwestdeutschland am St. Josef-Stift Sendenhorst in Nordrhein-Westfalen fahren. Das andere Beispiel zeigt auf, wie groß die Not sein kann: Eine andere junge Frau aus dem Münsterland mit chronisch-schweren Rückenbeschwerden überlegt in diesen Tagen in ihrer Not, ebenfalls mehr als 600 Kilometer quer durch die Republik zu reisen, um in einer Praxis für Orthopädie eine Schmerzbehandlung erhalten zu können und behandelt zu werden.

Für beide bedeutet es in Zeiten von starken Schmerzen, weder arbeiten noch studieren zu können. Hier ist die Gefahr groß, bei nicht ausreichender und zügiger Behandlung in die Berufsunfähigkeit zu rutschen. Was in beiden Fällen hinzukommt, ist die psychische Belastung, die bis in ernsthafte depressive Verstimmungen gehen kann. Chronisch Kranke müssen unter Umständen also auch mental unterstützt werden, da ihre Situation sehr belastend ist und außerdem zu sozialer Entfremdung führen kann. Natürlich muss man dann erst einmal einen Termin bei einem Psychologen bekommen. Und da geht das Warten auf einen Termin und das Klinkenputzen wieder aufs Neue los…

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  • Quelle: Tina Beier | Foto: geralt / Gerd Altmann, Pixabay License
  • Erstellt am 07.08.2022 - 22:39Uhr | Zuletzt geändert am 08.08.2022 - 10:25Uhr
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